Die blaue Liebeslaube

Der bekannteste und verbreitetste der australischen Laubenvögel ist zugleich der verblüffenste. Er ist dohlengroß, metallisch dunkelblau glänzend, hat leuchtende hellviolette Augen und heißt Seidenlaubenvogel. Seine Lieblingsfarbe ist blau. Er sammelt blaue Blüten, Beeren, Käfer- und Schmetterlingsflügel, die blauen Schwanzfedern der Penantsittiche und weitere blaue Vogelfedern, um damit den kleinen Platz hinter und die große Fläche vor der Laube zu verzieren. Zwischen den vielen blauen Dingen liegen stets einige Schmuckstücke von anderer Farbe, ein paar hellgelbe Beeren, ein paar Schneckenhäuschen und oft einige große Insektenpuppen. Er bemalt sogar die Wände seiner Laube. Dazu zerquescht er mit dem Schnabel blaue Beeren und streicht den Saft an die Reiser. Manchmal benutzt er dazu ein kleines Stück ausgefranste Rinde als Pinsel. Er gehört zu den ganz wenigen Tierarten, die Werkzeuge verwenden.
Das Verbreitungsgebiet des Seidenlaubenvogels ist das küstennahe Gebiet des südöstlichen Australien und erstreckt sich etwa von Melbourne über Canberra und Sydney bis nach Brisbane. Es deckt sich also mit jenem Teil des Kontinents, in dem etwa 80 % der Australier leben.Dank diesem Umstand konnte der Seidenlaubenvogel sein Sortiment an Dekorationsmaterial gewaltig erweitern. Die Beschaffenheit des Materials ist ihm nämlich gleichgültig, nur blau muß es sein. Um die Lauben, die in der Nähe von Siedlungen oder Campingplätzen von Nationalparks liegen, besteht die Dekoration nur aus ein paar wenigen natürlichen Dingen, hauptsächlich aber aus Plastikgegenständen: Trinkhalme, Spraydosendeckel, Becher, Kämme, Wäscheklammern, Spielzeugautos, babyschnuller und so weiter.
Plastik hat gegenüber Blumen den Vorteil, daß es haltbarer ist und nicht dauernd ausgewchselt werden muß. Dennoch ist der Besitzer einer Liebeslaube ein vielbeschäftigter Vogelmann. Während der etwa vier Monate dauernden Paarungszeit arbeitet er mehrere Stunden täglich an seinem Balzplatz. An den Wänden der Laube rückt er Zweige zurecht, fügt frische Reiser hinzu, erneuert den Beeresaftanstrich. Die Anordnung der Dekorationsstücke wird immer wieder kritisch geprüft und häufig verändert. Zudem muß der Vogel jedes Weibchen, das in die Nähe kommt, mit schnarrenden Balzrufen anlocken.
Erscheint dann eines der unscheinbar grünlichbraunen Weibchen, gerät das Männchen in höchste Aufregung.
Es stellt seine Brust und Rückenhaare auf, hüpft schnarrend auf dem Balzplatz hin und her und hebt immer wieder neue Dinge mit dem Schnabel auf, um sie dem Weibchen zu zeigen.
Dieses kauert in der Laube und schaut aus lilafarbenen Augen scheinbar gleichgültig dem Tanz zu. Das Ritual dauert mehrere Minuten.
Plötzlich rennt der Freier um die Laube, stürzt sich durch den hinteren Eingang auf das geduckt wartende Weibchen und vollzieht stürmisch die Kopulation. (...)

(Hans D. Dossenbach: Die Liebeslaube der Laubenvögel,
in: Der Tagesanzeiger Magazin, Nr 24, 14.Juni 1986, S.30
zitiert nach:
Angelika Lochmann, Angelika Overrath: Das blaue Buch, Lesarten einer Farbe, Nördlingen 1988)

Aquarelle: Susanne Öhlschläger